Keine Frage: Tiflis ist eine europäische Hauptstadt. Und die georgische Metropole gibt sich viel Mühe, das auch zu zeigen. Es ist jedenfalls für die Hauptstadt eines Nicht-EU-Landes keine Selbstverständlichkeit, vor seinem Parlament die eigene und die Flagge der Europäischen Union zu hissen. Dass eben dieses Parlament gerade erst das sogenannte „russische Agentengesetz“ beschlossen hat, ist einer der permanenten Widersprüche dieses Landes. Aber die Annäherung an den Westen zeigt sich zumindest hier in der Hauptstadt an vielen Ecken.
Da ist das Haus mit den regenbogenfarbenen Treppen, an das die Besitzer ein Schild genagelt haben: „Russia is the occupier (and you cannot deny that)“. Da sind die vielen alternativen Hinterhofkneipen und Wohnungen, die eher an Berlin-Kreuzberg als an den Moskauer Arbat erinnern. Und eben viele analoge und digitale EU-Fahnen an Häusern, in Läden und bei Straßenhändlern (dass H&M hier für den EU-Beitritt wirbt, rechne ich jetzt mal nicht mit).
Neben der Seilbahnstation zur Festung Nariqala hat man auch gleich ein Stück EU aufgestellt: Ein Teil der Berliner Mauer, das Deutschland 2017 dem damaligen georgischen Premierminister Kvirikashvili bei dessen Besuch in Berlin geschenkt hat (keine Ahnung, wie er es mit nach Tiflis genommen hat). Praktischerweise steht es in Sichtweite zum georgischen Präsidentenpalast, den selbst die CDU in einem Werbevideo schon mal mit dem Berliner Reichstag verwechselt hat. Viele Hinweise also, dass Tiflis sich aufmacht auf den Weg nach Westen. Auch, wenn es angesichts etwa der kreativen Fahrweise der Autofahrer hier wohl noch ein sehr langer Weg ist.
Im Ernst: Tatsächlich gibt es sicher noch sehr, sehr viele politische und ökonomische Hürden bis zu einem möglichen EU-Beitritt Georgiens. Kulturell wäre es auf jeden Fall ein Gewinn. Tiflis ist eine faszinierende Stadt, in der nicht nur ganz viel europäischer Geschichte lebt. Hier entstehen erkennbar neue Impulse, die die EU sicherlich bereichern würden. Uns hat die georgische Hauptstadt jedenfalls sehr gut gefallen. Es wird spannend, welchen Weg die Georgier sich bei den anstehenden Parlamentswahlen am 26. Oktober geben.