"Frage an Radio Eriwan: Ist es möglich, auch in einem hochindustrialisierten Land den Sozialismus einzuführen?
Antwort: Im Prinzip ja, aber es wäre schade um die Industrie."
Die Radio-Eriwan-Witze haben auch bei uns bis in die 80er Jahre den real existierenden Sozialismus auf die Schippe genommen. Und, hey! Wir haben in der armenischen Hauptstadt Eriwan / Jerewan mal nachgeschaut: Kein Radio Eriwan! Im Ernst: Klar war das nur eine dumme Witze-Serie. Aber so ganz vorbei an der Realität war es auch nicht. Und heute sieht man in Jerewan, was passiert, wenn der Kapitalismus den Sozialismus mit aller Brutalität wegfegt. Auf dem Weg in die armenischen Hauptstadt sind wir an riesigen verrottenden Industrieanlagen vorbeigefahren. Rechts und links daneben ärmlichste Behausungen.
Wenn man dann in die Hauptstadt kommt, ändert sich das Bild. Zumindest in der Innenstadt prägen protzige Marmor-Hotels, üppige Shopping-Passagen und für den Rest des Landes völlig überteuerte Restaurants die Ansicht. So hatte sich die armenische Regierung das bei der Unabhängigkeit 1991 wohl eher nicht vorgestellt. Immerhin: Die Stimmung in Jerewan ist entspannt und ausgelassen. Auf dem zentralen Platz der Republik gibt es jeden Abend ein kostenloses, zweistündiges Spektakel mit beleuchteten Springbrunnen und klassischer Musik. Auch die sogenannten Kaskaden, eine rund 100 Meter lange gestufte Treppenanlage mit einem gigantischen Blick über die Stadt, sind bei Sonnenuntergang ein beliebtes Ausflugsziel. Kurz: Die Stadt mag klobig, verbaut, überteuert und voller irrer Autofahrer (Zitat Taxifahrer) sein. Aber Lebensfreude kann man den Armeniern nicht absprechen.
Und das trotz einer wirklich schwierigen Vergangenheit. Das uralte Kulturland war über die Jahrhunderte immer wieder Spielball der dominierenden Nachbarländer Türkei, Iran und Russland. Anfang des 20 Jahrhunderts eskalierte dann der Konflikt der christlich-orthodoxen Armenier mit den muslimischen Türken komplett und führte zu einem Genozid der Türken an Armeniern, dem nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfern fielen. Im Genozid-Museum von Jerewan, einer Art armenischem Yad Vashem, kann man das auf beeindruckende Weise erfahren. Die Türkei leugnet diesen Völkermord bis heute. Auch ein Grund, warum wir bei unserer Tour nicht direkt von hier in die Türkei fahren können, sondern zunächst wieder zurück nach Georgien, um dann von dort in die Türkei einzureisen. Ein kurzer Abstecher also nach Armenien, von dem ich als Souvenir zumindest einen frischen Haarschnitt aus dem "Master Right Barbershop" mitnehme. Schick, oder?