Geschafft! Nach genau 10.177 gefahrenen Kilometern sind wir wieder zuhause. Dazu rund 1400 Kilometer per Fähre über das Schwarze Meer und die Ägäis. Dreizehn Länder haben wir in den letzten drei Monaten durchquert: Österreich, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Georgien, Armenien, Türkei, Griechenland, Albanien, Montenegro, Kroatien und Slowenien. Durch zwölf verschiedenen Sprachen mit vier unterschiedlichen Alphabeten haben wir uns mit dem Google Translator gekämpft. Acht verschiedene Währungen haben wir getauscht (und uns regelmäßig bei der Umrechnung vertan). Vor allem aber haben wir in diesen dreizehn Ländern unglaublich interessante und nette Menschen getroffen. Wir wurden immer wieder zum Tee eingeladen und spontan beschenkt, mit Keksen, Trauben, Melonen, einmal sogar mit fünf Eiern. In Istanbul hat uns ein freundlicher Wirt ein Kettchen mit einem goldenen Herz geschenkt. Einfach so. Was für eine Gastfreundlichkeit!
Wir haben viele zum Weinen schöne Sonnenuntergänge erlebt, und einige noch schönere Sonnenaufgänge. Wir sind mit dem Ballon über die Zauberlandschaft von Kappadokien geflogen, haben Delphine vor der Küste von Griechenland beobachtet und uns durch hervorragende georgische Weine getestet. Wir haben an der Grenze zu Armenien im Innenhof einer Mosche übernachten dürfen, sind im Großen Kaukasus gewandert und haben nackt im Schwarzen Meer gebadet (an einem FKK-Strand, was denkt Ihr denn). Wir haben unser kleines Wohnmobil Schotterpisten mit unglaublichen Steigungen hochgequält, sind mit Zentimeterabständen durch enge und chaotische Innenstädte manövriert und einmal auch böse im Matsch steckengeblieben (vielen Dank nochmal an den georgischen Baggerfahrer, der uns wieder rausgezogen hat). Kurz: Es hat unglaublich Spaß gemacht. In diesem Blog findet Ihr die Highlights unserer Tour mit vielen Bildern, die hoffentlich ein bisschen was von unserem Spaß vermitteln.
Schon wieder Jason! Offenbar hat der griechische Sagenheld mit seiner Argo ungefähr die gleiche Tour gemacht, wie wir die letzten drei Monate mit unserem Wohnmobil. Erst klaute er in Kolchis im heutigen Georgien das goldene Vlies (wir haben Georgien natürlich nur angeschaut, nichts geklaut). Dann flüchtete er über Samothraki in Griechenland ins slowenische Ljubliana. Dort erlegte Jason der Sage nach einen bösen Drachen. Deshalb gilt der Grieche als mythischer Begründer der Stadt. Der Drache legte in Folge übrigens eine seltsame Wandlung hin: Vom Bedroher zum Beschützer der Stadt. Weshalb es in Ljubljana quasi an jeder Ecke Drachen gibt. Und das Tier es sogar ins Stadtwappen geschafft hat.
Wir sind jedenfalls inzwischen ebenfalls in Ljubljana angekommen. Der letzten Station unserer Kaukasus-Tour. Eine sehr entspannte und vor allem interessante Stadt. Und das nicht nur wegen der vielen Drachen. Denn Ljubljana hat geschafft, wovon andere Städte träumen: Sie hat den Autoverkehr weitgehend aus der Altstadt verbannt, ohne dass das Leben dort zum Erliegen gekommen ist. Die Straßen wurden seit 2008 zu breiten Fußgänger- und Radwegen ausgebaut, ein teilweise kostenloser Bike-Sharing-Dienst eingeführt, mehrere neue Fußgängerbrücken errichtet. Die Busverbindungen wurden ausgebaut und verdichtet. Und das zu günstigen Preisen. Für eine halbe Stunde Fahrt vom Stadtrand ins Zentrum haben wir gerade mal 1,20 Euro gezahlt. Für gehbehinderte Anwohner gibt es sogar einen kostenlosen Shuttledienst mit froschgrünen E-Minibussen. Das Ergebnis ist beeindruckend: Eine grüne, lebhafte Altstadt mit vielen Straßencafés, kleinen Läden und vielen Fahrradfahrern. Und hin und wieder einem wachsamen Drachen. Gut gemacht, Jason!
Zum Schluss siegen Winnetou und Old Shatterhand selbstverständlich gegen die bösen Schurken. Und reiten oberhalb des Silbersees zu neuen Abenteuern. Tatsächlich sind die beiden durch das Zentrum Kroatiens geritten. Hier wurde 1962 der deutsche TV-Klassiker „Der Schatz im Silbersee“ gedreht. Im Nationalpark Plitvic, genauer gesagt. Und seitdem schwärmt halb Deutschland von dieser kraftvollen Landschaft mit spektakulären Wasserfällen und smaragdgrünen Seen. Sicher ein Grund, warum dieser Schatz am Silbersee auch heute noch ein Touristenmagnet ist - und letztlich auch uns angezogen hat.
Keine Frage: Kroatien ist wunderschön. Traumhafte Strände, eine pittoreske Gebirgslandschaft und malerische Altstädte (das Rathaus von Trogir westlich von Split hat bei Winnetou übrigens als Sitz des Gouverneurs von Santa Fe gedient). Aber das Land lässt sich seine touristischen Schätze inzwischen auch hart versilbern (und damit meine ich nicht die Pension „Winnetou“ bei Plitvic. Kein Witz!) Die Zeiten, in denen Kroatien eine günstige Alternative war zu den etablierten Urlaubsdestinationen Italien und Spanien, sind jedenfalls vorbei. 2,50 Euro für eine Kugel Eis, 5 Euro für eine Cola, 10 Euro Parkgebühr pro Stunde und satte 35 Euro pro Person, um auf eine Stadtmauer zu klettern. Nicht eben familienfreundlich. Aber vielleicht ist das auch gar nicht das Zielpublikum. Wir waren jedenfalls überrascht, wie voll die zahlreichen Campingplätze quer durch das Land selbst in der Nachsaison noch waren. Und zwar überwiegend mit deutschen Rentnern (soll nicht abfällig klingen; wir sind ja auch nicht mehr die jüngsten). Aber vielleicht liegt das ja auch daran, dass die alle noch den „Schatz im Silbersee“ kennen. Winnetou wäre inzwischen halt auch Rentner.
„Shame, shame, shame“, ruft der Tourguide auf der breiten Steintreppe im kroatischen Dubrovnik. Er bezieht sich damit auf eine berühmte Szene aus der Fantasy-Serie „Game of Thrones“. Darin muss die hintertriebene Königin Cersei zur Strafe für ihre Liederlichkeit vor einer großen Menschenmenge genau diese Treppe hinunterlaufen - nackt. Ist natürlich nur Film. Die Szene wurde hier gedreht. Genauso wie viele andere der beliebten Serie und zahlreicher weiterer Filme. Die als Ensemble gut erhaltene und restaurierte historische Altstadt von Dubrovnik ist einfach die perfekte Kulisse.
Leider ist sie das heute fast ausschließlich. In der Altstadt leben nur noch rund 1000 Menschen. Und man hat so das Gefühl, die Wenigen, die hier noch wohnen und vereinzelt ihre Wäsche raushängen, sind ebenfalls nur noch Teil einer großen Instagram-Kulisse. Denn täglich strömen bis zu 15.000 Touristen durch die engen Gassen. Viele von den hier regelmäßig einlaufenden Kreuzfahrtschiffen. Dubrovnik gilt als die am meisten unter Übertourismus leidende Stadt Europas. Und hat sich angepasst. In der autofreien Altstadt gibt es fast nur noch Hotels, Restaurants, Eisdielen und Läden, in denen man Dinge kaufen kann, die sich vermeintlich als Souvenir eignen. Von Minidubrovniks aus Plastik über Gummienten bis eben zu „Game of Thrones“-Devotionalien.
Geheimtipp! Immer wieder haben wir dieses Prädikat gelesen, als wir durch Albanien gefahren sind. Aber ganz ehrlich: So richtig nachvollziehen konnten wir es nicht. Erstens ist der Tipp so geheim offenbar nicht mehr. Natürlich ist der Tourismus in Albanien im Vergleich etwa zu Griechenland oder Kroatien noch sehr unterentwickelt. Aber Albanien brummt. Selbst in der Nachsaison waren die touristischen Zentren gut gefüllt. Und ein bisschen fragt man sich: Warum? Albanien mag noch eine traumhafte Landschaft haben. Aber das Land ist stark vermüllt, hat eine schlechte und ungepflegte Infrastruktur und ist auch nicht mehr wirklich billig. Die Strände sind weitgehend mit hässlichen Klötzen verbaut. Und die Albaner schicken sich gerade an, hier fleißig und scheinbar ziemlich unreguliert weiterzuklotzen. Hier muss man nicht unbedingt seinen Urlaub verbringen.
Der eigentliche Geheimtipp aus unserer Sicht ist: Montenegro. Das winzige Land zwischen Albanien und Kroatien war ein echtes Aha-Erlebnis für uns (auch wenn wir natürlich nur einen kleinen Teil gesehen haben). Die Küste ist traumhaft schön, mit einer gut ausgebauten Straße, ähnelt mit ihren grünen Hängen und Buchten teilweise der Côte d´Azur. Die Orte sind gepflegt, die Strandanlagen ansprechend, das Angebot in den Läden ist besser und teilweise sogar günstiger als in Albanien. Und man kann in Euro und überwiegend per Karte bezahlen (was in Albanien kaum möglich ist). Kein Wunder, dass Montenegro unter den fünf EU-Beitrittskandidaten auf dem Balkan als der Aussichtsreichste gilt. Ob das kleine Land mit gerade mal gut 600.000 Einwohnern die geforderten und bereits eingeleiteten Reformen bei Justiz, Medien und Korruption tatsächlich umsetzt, wird sich zeigen. Auf den ersten Blick ist Montenegro jedenfalls ganz klar in der EU angekommen. Und es ist definitiv ein Land, in dem man einen erholsamen Urlaub verbringen kann. Wir auf jeden Fall.
Tirana ist nicht gerade das, was man als dezent bezeichnet. Da ist der kitschige "Amor"-Tempel mit Goldstatuen für die pompöse Glamourhochzeit; da ist das neue Sofitel im Zuckerbäcker-Protzstiel mit albanischen Heldenstatuen; im Zentrum der Stadt liegt der eher nackte, dafür umso größere Skanderbeg-Platz mit überdimensionalem, sozialistischem Propagandabild. Wenn man noch die rumpeligen Vororte, die völlig verstopften Straßen und die eher willkürlich über der Stadt verteilten Hochhäuser dazu nimmt, könnte man auch sagen: Tirana ist ganz schön hässlich.
Natürlich kommt das nicht von ungefähr. Fast ein halbes Jahrhundert Selbstisolation unter einem stalinistischen Diktator und eine weitgehend am Boden liegende Wirtschaft waren sicher keine guten Städteplaner. Und die Tiraner arbeiten auch sichtbar daran, die größten Altlasten loszuwerden. So wurde das unmittelbar nach dem Tod von Diktator Hoxha errichtete pyramidenförmige Museum zu seinen Ehren inzwischen umgebaut und zu einem Kultur- und Lernzentrum umfunktioniert. Aus dem lange geheim gehaltenen Atomschutzbunker unter dem Innenministerium wurde "Bunk´art 2". Eine Mischung aus Kunstausstellung und Aufarbeitung des Geheimdienstterrors während der Diktatur. Vor jedem Ministerium hängt neben der albanischen auch noch die EU-Flagge. Hübscher macht das Tirana leider nicht. Aber zumindest der Weg scheint eingeschlagen.
Albanien ist ein eigenartiges Land. Mehr als 40 Jahre war der Mittelmeerstaat nach dem zweiten Weltkrieg fast vollständig abgeschottet. Die meiste Zeit unter dem paranoiden, stalinistischen Diktator Enver Hoxha. Nach dessen Tod öffnete sich Albanien vorsichtig - um gleich wieder kräftig auf die Nase zu fliegen. Die Albaner hatten im Zuge der neuen, kapitalistischen Möglichkeiten ihr frisch angespartes und von vielen Auslands-Albanern in die Heimat geschicktes Geld zu großen Teilen in halbseidene und leider völlig unkontrollierte Investmentfirmen investiert. Mitte der 90er gingen diese nach dem Schneeballsystem arbeitenden Abzockbuden pleite. Die Folge war der sogenannte "Lotterieaufstand", der das Land vollends ins Chaos stürzte und sogar die UN auf den Plan rief. Das ist jetzt gerade mal gut 25 Jahre her. Seitdem sind die Albaner vorsichtiger mit dem Kapitalismus. Und erfolgreicher. Zumindest der Tourismus brummt, wie wir feststellen konnten.
So richtig weit sind wir nicht gekommen. Eigentlich wollten wir nach der Wiedereinreise in die EU nur einen kurzen Zwischenstopp gleich hinter der türkischen Grenze einlegen. In der griechischen Kleinstadt Alexandroupolis, die im wesentlich eben immer genauso beschrieben wird: "Gut für einen Zwischenstopp auf dem Weg von oder in die Türkei." Das ist natürlich nicht sehr nett für Alexandroupolis. Und es wird der Gegend hier im Norden Griechenlands nicht gerecht, die durchaus reizvoll ist und ganz nette Strände bietet. Wir haben jedenfalls bei unserem Stopp vom Ufer aus eine Insel gesehen: Samothraki.
Rund 80 Kilometer von der Küste entfernt und nur rund 50 Kilometer lang, ragt in der Mitte der 1600 Meter hohe und überwiegend bewaldete Fengari empor. Hier sind der griechischen Sage nach schon die Argonauten auf dem Weg zum Goldenen Vlies für eine Rast gelandet. Wir haben zwar nicht die Argo genommen. Aber von Alexandroupolis fährt jeden Tag einmal eine Fähre nach Samothraki (die zwar deutlich moderner ist als die Argo. Nur die Pac-Man-Spielekonsole könnte fast noch aus dieser Zeit stammen.) Jedenfalls haben wir kurzerhand dort eingeschifft. Und verbringen nun ein paar erholsame Tage auf Samothraki. Eine Insel, die vor allem wegen ihres "nachhaltigen und naturnahen Tourismus" gelobt und von Hippies geschätzt wird. Kurz: Hier ist es schön und nicht viel los. Eine idealer Ausgleich nach unserem quirligen Istanbul-Besuch.
Was für eine Stadt! Istanbul, das früher Konstantinopel und noch früher Byzanz hieß, ist genauso vielschichtig wie seine zweieinhalbtausend-jährige Geschichte. 15 Millionen Menschen leben hier. In einem vibrierenden Delta zwischen Marmara-Meer, Goldenem Horn und Bosporus. Wo sich Europa und Asien treffen. Und tatsächlich hat man das Gefühl, Istanbul pickt sich das Beste aus diesen beiden Welten. Hier gibt es traditionelle Bakkal-Geschäfte (quasi die türkische Variante der Tante-Emma-Läden, mit Oliven, gerösteten Riesensonnenblumenkernen und Käse) direkt neben modernen Supermärkten. Die Rocklängen der Frauen reichen von knöchellang bis kurz unter Po, mit Schleier und ohne Schleier.
Baklava wird im hippen Candyshop verkauft. Im Basar wird kräftig gefeilscht - und dann kontaktlos per Handy bezahlt. Elegante Kolonialbauten aus dem 19. Jahrhundert stehen neben osmanischen Moscheen, die Rollläden der Shops im Erdgeschoss mit Graffities besprüht. Und über allem thronen fast majestätisch die großen Moscheen, allen voran die Hagia Sophia (die die längste Zeit gar keine Moschee war, sondern eine christliche Kirche, und die damit diese Ost-West-Spannung quasi schon in sich verkörpert). Entsprechend bunt gewürfelt sind die Istanbuler. Wer hier Tourist, und wer türkischer Wirt mit einer Vorliebe für französische Chansons ist, lässt sich nicht immer zweifelsfrei sagen. Besagter Wirt hat uns übrigens ganz spontan eine Kette mit einem Herz geschenkt. Einfach so, weil er es "gerne mache". Istanbul ist wirklich eine Stadt zum Verlieben.
Um es gleich zu sagen: Besonders viel Charme versprüht Ankara nicht. Die türkische Hauptstadt ist genau das, was der türkische Staatsgründer Kemal Atatürk nach dem Befreiungskrieg 1923 von seiner neuen Hauptstadt wollte: Sie ist funktional. Ankara ist eine moderne Stadt. Hochhäuser, eine funktionierende Infrastruktur mit Metro und gut ausgebauten Stadtautobahnen, eine Innenstadt mit allen wünschenswerten Shoppingmöglichkeiten, Vorstädte, deren tausende gleichförmige Wohnblocks zwar keine Architekturpreise verdienen, aber vermutlich eine ordentliche Wohnqualität bieten. Hier fahren keine Pferdekarren mehr, die Fleischer im Basar bieten ihre Ware in Kühltheken an, die Jugendlichen tragen moderne Bluetooth-Kopfhörer. Kurz: Die 5,8 Millionen Einwohner-Metropole ist eine moderne Stadt.
Und Ankara huldigt ihrem Mentor dafür. Atatürk auf kleinen Fähnchen, Atatürk-Zitate auf Großflächenplakaten, Atatürk-Plätze, Atatürk-Straßen, ein Atatürk-Denkmal im zentralen Genclik-Park. Und natürlich das Atatürk-Mausoleum samt Museum eingebettet in eine riesige Parkanlage. Größer geht es kaum. Der gigantische Vorplatz des ebenfalls gigantischen Mausoleums wird von puppenhaften Gardesoldaten bewacht. Tausende strömen jeden Tag vorbei, um ein Selfie vor dem Sarkophag des "Vaters der Türkei" zu machen (der selbst übrigens gar nicht im Sarkophag liegt, sondern sieben Meter darunter bestattet wurde).
Der protzige Präsidentenpalast des aktuellen Regenten Erdogan ist zwar nur einige Kilometer entfernt. Trotzdem wirkt der längst verstorbene Atatürk in der Hauptstadt deutlich präsenter. In Gaststätten und Geschäften haben wir jedenfalls nur Atatürk-Porträts gesehen, kein einziges von Erdogan. Eine Art National-Nostalgie, mit der die Einwohner von Ankara vielleicht ein bisschen den fehlenden Charme ihrer erst im letzten Jahrhundert gewachsenen Stadt wettmachen wollen. So oder so, vermutlich lebt es sich einfach auch ohne Charme ganz gut in Ankara. Zweckmäßig halt.
Das Panorama ist wirklich atemberaubend. Jahrtausende lang haben Wind und Wasser aus dem Tuffstein in Kappadokien eine bizarre Landschaft geformt. Mit steinernen Stelen, die offiziell den schönen Namen „Feenkamine“ tragen. Wir hatten spontan an eine Truppe Zwerge gedacht. Die beiden jungen Chinesinnen im Ballon hinter uns - dem Gekicher nach - offenbar noch an was ganz anderes.
Der beste Weg, diese Zauberlandschaft zu erleben, ist tatsächlich eine Ballonfahrt. Touristischer gehts es zwar kaum. Jeden Tag steigen bei Sonnenaufgang in den Orten Göreme und Umgebung rund hundert Heißluftballons auf. In jedem Korb rund zwei Dutzend Touristen aus der ganzen Welt. Göreme ist dementsprechend voller Hotels, Restaurants, Souvenirläden und natürlich Agenturen, bei denen man Ballonfahrten buchen kann. Die Tuffsteinfelsen im Ort wurden teilweise zu Höhlenhotels ausgebaut.
Für uns schon ein kleiner Kulturschock. Denn die letzte Woche in Ostanatolien haben wir praktisch keinen einzigen offensichtlich europäischen (oder ostasiatischen) Touristen gesehen. Trotzdem ein beeindruckendes Erlebnis - gerade auch wegen der vielen bunten und in der Morgendämmerung leuchtenden Ballons. Kleiner Funfact: Nach einer Woche mit ausschließlich halal Märkten ohne jeglichen Alkohol, haben wir uns hier zur Belohnung zum abendlichen BBQ mit großartigem Panorama das erste Mal wieder ein Bierchen gegönnt.
So hatte sich das König Antiochos I. wohl nicht vorgestellt. Die beeindruckenden Steinstatuen auf dem Gipfel des südtürkischen Bergs Nemrut sollten eine Kultstätte werden, um einer neuen Religion mit hellenistischen und persischen Elementen, vor allem aber mit ihm als oberster Gottheit zu huldigen. In zwei langen griechischen Inschriften legte Antiochos fest, wie ihn das Volk zu Lebzeiten und nach seinem Tod zu verehren habe. Das Volk sah das allerdings wohl etwas anders. Die Historiker gehen davon aus, dass die Stätte nie ganz fertiggestellt und schon gar nicht für irgendwelche spirituellen Zwecke genutzt wurde. Berg Nemrut wurde also, wenn man so will, zum Gipfel der Selbstüberschätzung für seine Gottheit Antiochos.
Heute sind die mannshohen Figuren und Steinreliefs nach Jahrtausenden von Witterung, Erdbeben und menschlichem Eingriff in ziemlich durcheinandergewürfelter Anordnung zu besichtigen. Aber auch ohne göttliche Verehrung sind sie ein beeindruckendes Zeugnis vorchristlicher Handwerkskunst. Und sie sind ein grandioses Fotomotiv. Vorausschauenderweise hatte Antiochos seine Gedenkstätte mit einer Ost- und einer Westterrasse anlegen lassen. Damit gibt es sowohl bei Sonnenauf- als auch bei Sonnenuntergang ein wundervolles Licht. Je nach persönlicher Neigung (wir gehören eher zu den Langschläfern). Auch wenn es sicher nicht das ist, was sich König Antiochios vorgestellt hat: Aber heute ist er sicher in seiner steinernen Ausprägung eines der meistfotografierten Motive der Türkei. Auch eine Art Verehrung, oder?
Der bittere Hintergrund erschließt sich auf den ersten Blick nicht: Wenn man durch die südtürkische Stadt Diyarbakir läuft, ändert sich auf einmal das gesamte Stadtbild. Ist die Altstadt nördlich und westlich noch wuselig und belebt, geprägt von engen Gassen mit Basaren, Gewürzhändlern und einem Döner- und Kebabladen am anderen, wird es im Südosten plötzlich nüchtern. Breite, neue Pflasterstraßen, einförmige, nagelneue und teilweise unbewohnte Einheitsbauten, viel Brachfläche.
2015 war es in der überwiegend mit Kurden bewohnten Stadt zu gewaltsamen Aufständen gekommen, vor allem eben im Bereich der südöstlichen Altstadt. Die ließ die Regierung schwerbewaffnet niedergeschlagen. Die massiv beschädigten Häuser wurden in Folge abgerissen - und das restliche Viertel gleich mit. Das Resultat ist ernüchternd. Die Polizei ist immer noch omnipräsent in der Stadt und der Region. Auf dem Weg vom Van-See nach Diyarbakir wurden wir vier mal an bewaffneten Polizeiposten kontrolliert (die vielen Kontrollattrappen gar nicht mitgerechnet, die auf kuriose, aber doch effektive Art die Autofahrer vom Rasen abhalten sollen). In der Stadt soll eine eigene "Touristen-Polizei" Vertrauen zurückgewinnen. Bitter. Denn Diyarbakir ist wirklich eine schöne Stadt.
"Da gedachte Gott des Noah sowie aller Tiere und allen Viehs, die bei ihm in der Arche waren. Gott ließ einen Wind über die Erde wehen und das Wasser sank. Am siebzehnten Tag des siebten Monats setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf."
So steht´s in der Bibel. Und dann muss es wohl stimmen, oder? Wir haben heute zwar keine Überreste der Arche Noah gesehen. Aber zumindest den Berg Ararat. (Eigentlich schon zum zweiten Mal. Man sieht den höchsten Berg der Türkei auch vom armenischen Jerewan aus. Aber mit einem kurzen Schwenker von ein paar hundert Kilometern sind wir inzwischen auf der türkischen Seite angekommen.) Wenn man böse wäre, könnte man sagen: Die Sintflut muss damals tatsächlich ganz schön gewütet haben. Die Region in Ostanatolien ist von ausgesprochen spröder Kargheit. Gelbe Felder, rote Erde. Die Bauern bewirtschaften ihre Äcker hier zum Teil noch mit Pferden.
Bis zu 50.000 Menschen, die in Höhlenwohnungen in einer Steilwand 500 Meter über einem Fluss wohnen. Und das vor rund 1000 Jahren. Kaum vorstellbar. Aber der georgische König Giorgi III. hat das im 12. Jahrhundert in Wardsia im Süden des Landes realisiert. Eine gigantische Festung als Verteidigung gegen die Türken. Ausgestattet mit Bücherei, Bäckern, einer Apotheke, Wasserleitungen aus Keramik und einem integrierten Kloster.
Die Anlage hat zwar die Türken letztlich nicht abgehalten und ist auch durch Erdbeben und andere Einflüsse inzwischen nur noch in Teilen zugänglich. Trotzdem beeindruckt die Höhlenstadt auch heute noch. Und ist nicht umsonst Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Georgiens (wie man auch an einigen Aufklebern sieht). Gut, dass wir nach unserem Abstecher nach Armenien nochmal zurückkommen sind und uns dieses historische Wunderwerk ansehen konnten. Beeindruckend!
"Frage an Radio Eriwan: Ist es möglich, auch in einem hochindustrialisierten Land den Sozialismus einzuführen?
Antwort: Im Prinzip ja, aber es wäre schade um die Industrie."
Die Radio-Eriwan-Witze haben auch bei uns bis in die 80er Jahre den real existierenden Sozialismus auf die Schippe genommen. Und, hey! Wir haben in der armenischen Hauptstadt Eriwan / Jerewan mal nachgeschaut: Kein Radio Eriwan! Im Ernst: Klar war das nur eine dumme Witze-Serie. Aber so ganz vorbei an der Realität war es auch nicht. Und heute sieht man in Jerewan, was passiert, wenn der Kapitalismus den Sozialismus mit aller Brutalität wegfegt. Auf dem Weg in die armenischen Hauptstadt sind wir an riesigen verrottenden Industrieanlagen vorbeigefahren. Rechts und links daneben ärmlichste Behausungen.
Wenn man dann in die Hauptstadt kommt, ändert sich das Bild. Zumindest in der Innenstadt prägen protzige Marmor-Hotels, üppige Shopping-Passagen und für den Rest des Landes völlig überteuerte Restaurants die Ansicht. So hatte sich die armenische Regierung das bei der Unabhängigkeit 1991 wohl eher nicht vorgestellt. Immerhin: Die Stimmung in Jerewan ist entspannt und ausgelassen. Auf dem zentralen Platz der Republik gibt es jeden Abend ein kostenloses, zweistündiges Spektakel mit beleuchteten Springbrunnen und klassischer Musik. Auch die sogenannten Kaskaden, eine rund 100 Meter lange gestufte Treppenanlage mit einem gigantischen Blick über die Stadt, sind bei Sonnenuntergang ein beliebtes Ausflugsziel. Kurz: Die Stadt mag klobig, verbaut, überteuert und voller irrer Autofahrer (Zitat Taxifahrer) sein. Aber Lebensfreude kann man den Armeniern nicht absprechen.
Eigentlich hatten wir ja bei der Planung unserer Tour zunächst als Ziel Aserbaidschan im Auge. Da man in das Land am Kaspischen Meer allerdings seit Corona nicht mehr per Auto einreisen darf, hatten wir uns dann für Georgien entschieden. Jetzt haben wir doch noch eine kleine Erweiterung eingebaut. Heute sind wir spontan für einen Abstecher über die südliche Grenze nach Armenien gefahren. Das kleine Land mit gerade mal 2,8 Millionen Einwohnern zwischen Kaukasus, Türkei und dem Iran wird gerne mal vergessen, wenn es nicht gerade um den Konflikt in Bergkarabach geht. Dabei ist Armenien im ersten Eindruck ein wirklich schönes Reiseland. Wir waren jedenfalls überrascht über eine offenbar ganz gute Infrastruktur, eine lange und interessante Geschichte und viele lächelnde - und im mittelalterlichen Kloster von Hagpat auch spontan und wunderschön singende - Armenier (s. Video unten).
Jetzt ist es also doch passiert: Wie sind stecken geblieben. Die Straßenverhältnisse in Georgien sind ja generell eher schwierig. Nachdem wir die letzten Tage im Kaukasus immer mutiger geworden sind, haben wir heute eine harte Lehrstunde erhalten. Wir waren am Vortag noch recht entspannt zu einem sehr schönen Uferstück am Zhinvali-Stausee runtergefahren, etwa 200 schottrige Meter abseits der Asphaltstraße. Der nächtliche Regen tat sein Übriges. Und so war die Hochfahrt zurück am nächsten Morgen nicht mehr möglich. Ohne Allradantrieb blieb unser Wohnmobil einfach im Schlamm stecken. Aus die Maus!
Gottseidank sind die Georgier hilfsbereite Menschen. Der Besitzer des Grundstücks organisierte zunächst einen Nachbarn mit einem Allradfahrzeug. Das erwies sich allerdings als zu schwach für unser 3-Tonnen-Muckerl. Bauern mit Traktoren gibt es in der gebirgigen Gegend kaum. Also verständigten die hilfreichen Anwohner eine örtliche Baufirma, die einen Bagger schickte. Meter für Meter - und mit zwei gerissenen Seilen - zog der uns schließlich raus. Vermutlich habe ich deshalb bei der Weinprobe am Abend in einem netten Weingut in der Region Kachetien etwas mehr getrunken, als für eine Verkostung üblich gewesen wäre (4 Weißweine, 1 Rotwein, 2 Portweine und 2 Weinbrände). Prooooooost!
Keine Frage: Tiflis ist eine europäische Hauptstadt. Und die georgische Metropole gibt sich viel Mühe, das auch zu zeigen. Es ist jedenfalls für die Hauptstadt eines Nicht-EU-Landes keine Selbstverständlichkeit, vor seinem Parlament die eigene und die Flagge der Europäischen Union zu hissen. Dass eben dieses Parlament gerade erst das sogenannte „russische Agentengesetz“ beschlossen hat, ist einer der permanenten Widersprüche dieses Landes. Aber die Annäherung an den Westen zeigt sich zumindest hier in der Hauptstadt an vielen Ecken.
Da ist das Haus mit den regenbogenfarbenen Treppen, an das die Besitzer ein Schild genagelt haben: „Russia is the occupier (and you cannot deny that)“. Da sind die vielen alternativen Hinterhofkneipen und Wohnungen, die eher an Berlin-Kreuzberg als an den Moskauer Arbat erinnern. Und eben viele analoge und digitale EU-Fahnen an Häusern, in Läden und bei Straßenhändlern (dass H&M hier für den EU-Beitritt wirbt, rechne ich jetzt mal nicht mit).
Gori ist eine eher wenig spannende Kleinstadt im Zentrum Georgiens. Das wohl bemerkenswerteste, was die Stadt bisher hervorgebracht hat, ist Joseph Dzhugashvili. Der Sohn eines Schusters wurde hier 1873 in ärmlichen Verhältnissen geboren und wurde später unter seinem Kampfnamen Josef Stalin weltbekannt. Oder sollte man eher berüchtigt sagen? Als Diktator der Sowjetunion war er zwischen 1927 und 1953 verantwortlich für unsagbares Leid. Schätzungen gehen von rund 20 Millionen Todesopfern in der damaligen UdSSR aus: Hungertote durch rücksichtslose Zwangskollektivierungen, dazu Millionen Menschen, die deportiert wurden, in Gulags starben oder im Zuge sogenannter "Säuberungen" hingerichtet wurden. In Gori will man davon allerdings (fast) nichts wissen.
Die Stadt hat ihrem berühmtesten Sohn bereits kurz nach seinem Tod in den 50er Jahren ein denkmalähnliches Museum gebaut. Darin wird der Tyrann als großer Staatmann gefeiert, der den Wohlstand seines Volkes gemehrt und die deutschen Nazis bezwungen hat. In dutzenden Stalin-Bildern und Büsten sieht man den berühmten Georgier mit kleinen Kindern auf dem Arm, beim Plausch mit Mao Zedong oder den Friedensverhandlungen nach dem zweiten Weltkrieg. Wahlweise auch als liebevollen Familienvater mit seinen beiden Ehefrauen und Kindern. Und im letzten Raum als Totenmaske, pietätvoll in purpurne Szene gesetzt. Dass sich seine zweite Frau vor dem Hintergrund des Grauens das Leben nahm und einer seiner Söhne, den Stalin nicht aus deutscher Kriegsgefangenschaft freitauschen wollte, dort ums Leben kam - möglicherweise ebenfalls durch Selbstmord - spielt in Gori eher keine Rolle.
Die Geschichte ist gruselig: Weil der Titan Prometheus dem griechischen Göttervater Zeus das Feuer gestohlen und es den Menschen gebracht hatte, ließ ihn Zeus an das Kaukasusgebirge festschmieden. Ein Adler kam jeden Tag und fraß einen Teil seiner Leber - die allerdings immer wieder nachwuchs. Erst nach langen Qualen wurde Prometheus von Herakles erlöst, der den Adler mit einem Pfeil erschoss. Glück für Prometheus. Und Glück für die Kaukasusregion in Georgien, die die Geschichte der griechischen Mythologie kurzerhand vereinnahmt hat.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Georgien wirtschaftlich massiv zu kämpfen. Da kam der damalige georgische Präsident Saakashvili höchstpersönlich auf die Idee, dass Prometheus doch in der Nähe von Kutaissi angekettet gewesen sein muss. Genau dort, nordwestlich der georgischen Stadt, wo 1980 eine ziemlich beeindruckende Tropfsteinhöhle entdeckt worden war. Also quasi die "Höhle des Prometheus". Logisch, oder? Jedenfalls ist diese Höhle heute eine der Hauptattraktionen der Region. Und natürlich auch auf unserem Besuchsprogramm. Logisch, oder?
Den Großen Kaukasus muss man erstmal bezwingen. Und damit meine ich nicht die Wehrtürme, mit denen sich einige Dörfer in Swanetien im Nordwesten Georgiens vor fast tausend Jahren gegen Eindringlinge gewehrt haben. Erst mal muss man überhaupt so weit kommen. Denn das bis zu 5600 Meter hohe, und damit höchste Gebirge Europas (je nach geografischer Definition) gibt sich sperrig. Auf dem Weg vom Schwarzen Meer in den Großen Kaukasus kommt man am langen Stausee des Enguri vorbei. Allerdings sollte man sich bei Zwischenstopps in Acht nehmen. Die Haltestellen sind fast durchgängig voll mit Bienenstöcken - was zwar schön aussieht, aber wohl schon einigen Campern den Spaß am Wildcampen verdorben hat.
Vorbei an zahlreichen Kühen, Pferden und Schweinen neben und auch mitten auf der Straße wird es im oberen Teil so richtig abenteuerlich. Zumindest, wenn man kein geländetaugliches Allradgefährt hat. Wir hatten jedenfalls ganz schön zu kämpfen mit unserem kleinen Wohnmobil. Denn die noch beste Verbindungsstraße zum Hauptort Mestia ist in Teilen eine brüchige Piste. Wer sich diese 40 Kilometer durchruckelt, wird dafür mit einem wundervollen Panorama belohnt. Mestia ist zwar überraschend touristisch. Aber die Touristen sind nicht umsonst hier. Über zwanzig der imposanten Wehrtürme prägen das Bild des alten Bergdorfs. Genutzt wurden sie nicht nur zur Abwehr auswärtiger Angreifer. Die Türme gehörten einzelnen Familien oder Clans, die sich damit offenbar auch gegen ihre bösartigen Nachbarn gewehrt haben. Scheinbar rechte Streithansel, diese Swanetier. Eine Region, in der Blutrache angeblich lange an der Tagesordnung war.
Eine Kreuzfahrt ist es sicherlich nicht. Wer mit der Fähre von Burgas nach Batumi fährt, darf keine besonders hohen Ansprüche haben und muss Geduld mitbringen. Um 18 Uhr sollten wir zum Beladen da sein. Um 3.30 Uhr waren wir in unserer Kabine. Der Standard ist einfach. Und definitiv nichts für Vegetarier. Ein Mitreisender hat die Verpflegung an Bord „Fleischdiät“ genannt. Mit gekochten Würstchen zum Frühstück und zwei üppigen Fleischgerichten zum Mittag- und Abendessen. Jeweils je eine Stunde pünktlich ab 8 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr. Wer nicht da ist, hat Pech gehabt.
Die Fähre transportiert rund 150 Lastwagen, Transporter und Autos, die von Europa nach Zentralasien überführt werden. Passagiere sind quasi nur Beifang. Es gibt im Wesentlichen drei Kategorien von Passagieren: LKW-Fahrer aus Bulgarien, Georgien, Armenien und Aserbeidschan. PKW-Fahrer, die Autos überführen. Und ein paar wenige Touristen. Außer uns exakt noch zwei. Ein Ehepaar aus Heidelberg, das ebenfalls mit dem Wohnmobil unterwegs ist.
Drujbaline. Freundschafts-Linie. Klingt doch nett, oder? Auf diesem Kahn werden wir jedenfalls gleich einchecken, um vom bulgarischen Burgas zum georgischen Batumi überzusetzen. Drei Tage über das Schwarze Meer. Vermutlich ohne Netz. Dafür mit einer ganzen Reihe bulgarischer und georgischer Trucker. Und wir mit unserem kleinen Muckerl mittendrin. Drei Monate hat es gedauert, bis ich den Chef der Drujbaline endlich so weich gekocht hatte, dass er uns vorab eine Passage geschickt hat. Üblicherweise macht er das erst eine gute Woche vorher - wenn es dann klappt. Was unsere Tour etwas unkalkulierbar gemacht hätte.
Immerhin: Das Wetter ist gut. Die Sonne scheint. Der Wind hält sich in Grenzen (wir sind alle nicht wirklich seefest). Eine Packung Reisetabletten haben wir sicherheitshalber trotzdem eingepackt. Und eine Flasche bulgarischen Rotwein. Kann also eigentlich nichts schiefgehen, oder? Drückt uns die Daumen! Ich schreibe Euch, wie es war, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.
Ganz ehrlich: Die Befürchtungen waren schon da. Immerhin hört man bei uns vom Schwarzen Meer seit zwei Jahren lediglich in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Doch während im nördlichen Teil des Meers immer noch gekämpft wird, kriegt man davon im Süden - gottseidank - nichts mit. An den bulgarischen Schwarzmeerstränden drehen sich die Auseinandersetzungen zum Glück nur um so Banalitäten wie Parkplätze und Strandliegen. Nicht anders eben, als in den Badeorten des Mittelmeers. Und so ist auch die Stimmung hier. An den nördlicheren Küstenorten bei Varna steppt der Tanzbär. Südlich von Burgas wird es ruhiger und der Sand feinkörniger. Und das bei milden Wassertemperaturen und einem angenehm niedrigen Salzgehalt. Eigentlich traumhafte Ferienbedingungen.
Allerdings gehen die Bulgaren nicht eben sorgfältig mit ihrem Naturschatz um. Viele Strandzugänge unterscheiden sich nur unwesentlich von Mülldeponien. Bei zahllosen Wohnwägen am, neben oder hinter den Stränden ist nicht ganz klar, ob sie noch genutzt werden, oder einfach aufgegeben wurden. Dazwischen schießen klobige Rohbauten wie Beton-Pilze aus dem Boden. Es steht zu befürchten, dass Bulgarien mit dem Zukleistern seiner Küste gerade den gleichen Fehler begeht, wie Spanien in den 60er und 70er Jahren - allerdings mit weniger Planung. Noch aber gibt es hier schöne Ecken. Wir konnten bei Achtopol direkt über einer kleinen Bucht übernachten, mit einem der wohl eher seltenen (Achtung: Bilder im Kopf gleich wieder vergessen!) FKK-Strände. Die Bulgaren seien einfach entspannt, erklärt uns ein Nachbar, der auch oberhalb des Strands noch auf seine Hose verzichtet. Maritime Gelassenheit auf Bulgarisch.
Wenn Ihr irgendwann mal nach Bulgarien kommt: Plovdiv nicht versäumen! Klingt wie eine österreichische Mehlspeise. Ist aber eine wirklich schöne Stadt im Süden des Landes. Nicht umsonst war Plovdiv 2019 europäische Kulturhauptstadt. Und während andere Städte diese Chance für allerlei Kulturgedöns nutzen, hat Bulgariens zweitgrößte Metropole ein wirklich stimmiges Innenstadtbild geschaffen. Zentrales Sakralgebäude ist hier tatsächlich mal keine orthodoxe Kirche - trotz orthodoxer Mehrheitsgesellschaft-, sondern eine Moschee. Der Bau aus osmanischer Zeit geht im Stadtzentrum eine wunderschöne Symbiose ein mit den toll restaurierten Resten einer römischen Arena. Mit viel Glas und einigen Illustrationen kann man sich wunderbar vorstellen, wie vor zweitausend Jahren hier Wagenrennen stattfanden.
Das Ganze geht nahtlos über in ein verwinkeltes Altstadtsystem aus kleinen Gassen mit vielen Kneipen, Restaurants und bunten Läden im ehemaligen Handwerkerviertel Kapana. Die Türkei ist nur gut hundert Kilometer entfernt. Was sich auf den Speisekarten widerspiegelt. Nur, mit einem Wohnmobil einen Parkplatz in der Innenstadt zu finden, ist eine - nennen wir es - Herausforderung. Wer allerdings auf der anderen Seite des Flusses Maritsa parkt, kann über eine erstaunliche Fußgängerbrücke ins Zentrum laufen. Mit Läden rechts und links, wie man sie nur aus mittelalterlichen Darstellungen oder "Game of Thrones" kennt. Allerdings mit mehr oder weniger modernem Trödel, von Plastikblumen bis zu Gothic-T-Shirts.
Mit erhabenem Blick wacht die "Heilige Sofia" hoch über der Stadt. In der einen Hand eine Eule als Symbol der Weisheit, in der anderen einen Lorbeerkranz als Zeichen der Macht. So hat sich der Bürgermeister der bulgarischen Hauptstadt das im Jahr 2000 vorgestellt. Und eine Statue der Heiligen Sofia als neues, goldenes Wahrzeichen auf dem zentralen Platz Serdika aufstellen lassen. Der Stadtrat hatte zuvor schon den 17. September, den Tag der "Heiligen Sofia von Mailand" zum Stadtfeiertag erhoben. Und dann kamen die Nörgler und Besserwisser. Denn die Stadt hat ihren Namen gar nicht von dieser Heiligen. Vielmehr sind sich die Historiker ziemlich einig, dass er auf eine Kirche gleichen Namens zurückgeht, die wiederum zu Ehren der Weisheit gebaut wurde. Was auf Altgriechisch eben "sophia" heißt, ähnlich wie bei der "Hagia Sophia" in Istanbul. Stadtrat, Bürgermeister und Künstler ruderten lange rum. Bis der Künstler in einem Interview einräumte: "Nun gut, sie ist nicht heilig. Einfach nur Sofia."
Die Story ist nicht nur lustig. Sie sagt, finde ich, auch etwas über das Selbstverständnis dieser Stadt aus. Irgendwie hat man das Gefühl, die bulgarische Hauptstadt kämpft um ihr Image. Bulgarien ist statistisch gesehen das Armenhaus Europas. Und das merkt man auch in Sofia. Die meisten Straßen und Gehsteige sind löchrig. Viele Häuser sind verfallen und mehr als renovierungsbedürftig. In den Eingängen zur Metro bitten Bettler um Kleingeld. Aber Sofia hat Charme. Hier haben die sozialistischen Machthaber nicht ganz so brachial gewerkt wie etwa in Bukarest. Es gibt noch viele alte Häuser, die ein fast französisches Flair vermitteln. Der Beiname "Paris des Ostens" würde zu Sofia viel besser passen als zu Bukarest. Es gibt Kneipen mit kleinen Schanigärten und Brettspielen in Regalen, bunte Graffitis an altem Gemäuer und eine fast an Berlin erinnernde Off-Kultur. Mit etwas mehr Selbstbewusstsein sollte Sofia am besten noch eine Statue aufstellen, mit einer coolen Sonnenbrille. Einfach nur Sofia, eben.
Wenn man südlich von Bukarest die Donau überquert, und damit die Grenze nach Bulgarien, ändert sich nicht nur die Schrift. Es wird auch rumpelig. Sind die Straßen in Rumänien schon gewöhnungsbedürftig, fährt man in Bulgarien permanent Schlaglochslalom. Wobei: Zwischendrin findet man erstaunlich proper ausgebaute Strecken. Vier Kilometer auf dem Weg zur zwar beeindruckenden, aber doch eher abgelegenen Felsenkirche von Iwanowo, mit solarbetriebenen Straßenlampen im 20-Meter-Rhythmus und einem Gehsteig vom feinsten - den vermutlich noch kein Fußgänger betreten hat. Der EU-Strukturfonds ermöglicht doch Erstaunliches...
Aber genug des Genörgels: Bulgarien ist zwar ganz offensichtlich renovierungsbedürftig. Aber das, was es zu renovieren gibt, wäre es tatsächlich wert. Die besagte Felsenkirche etwa ist ein in Stein gehauenes Juwel. In der kleinen Höhle rund 40 Meter hoch in einer Felswand haben die Mönche sich bereits im 13. Jahrhundert mit bemerkenswerte Malereien verewigt, etwa einem Gemälde des letzten Abendmals rund 200 Jahre vor Leonardo da Vinci. Und auch die nahegelegene Kleinstadt Russe zeigt zwischen verfallenen Gebäuden, aus denen bereits das Grün sprießt, einige schöne Fleckchen. In jedem Fall aber eine landschaftlich traumhafte Umgebung, die wir noch weiter erforschen wollen - soweit unsere Stoßdämpfer eben mitspielen.
Bukarest packt einen jetzt nicht gleich auf den ersten Blick. Und ich bin auch nicht sicher, ob ein zweiter es schafft. Die rumänische Hauptstadt wird ja oft als "Paris des Ostens" beschrieben. Wer das behauptet, mag Paris nicht. Bukarest ist laut. Bukarest ist staubig. Selbst die Hauptverkehrsadern der Stadt ähneln eher rumpeligen Pariser Vorortgassen, die permanent verstopft sind. Und dass das zentrale Gebäude der Stadt ausgerechnet ein monströser Klotz im sowjetischen Zuckerbäckerstil ist, macht die Sache leider auch nicht besser.
Aber wir wollen fair bleiben: Bukarest hat auch schöne Ecken. Und damit meine ich nicht nur die bereits renovierten Historismus- und Jugendstilgebäude, die tatsächlich an einigen Ecken an Paris erinnern. Auch andernorts blitzt die vielschichtige Geschichte Bukarests durch. Das Hanul Manuc ist ein denkmalgeschütztes Restaurant in einer alten Karawanserei mit einem lauschigen Biergarten im Innenhof. Mitten im Vergnügungsviertel Lipscani mit unzähligen Fast-Food-Läden, Souvenirshops und Nachtclubs liegt das alte orthodoxe Kloster Stavropoleos, mit wunderschönen Malereien und einem ruhigen Kreuzgang als Kontrast zur Außenwelt.
Deutsch vor uns. Deutsch am Tisch neben uns. Und an der Supermarktkasse hinter uns. Als Rumänisch sprechender Rumäne muss man sich im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) ziemlich fremd vorkommen. Zumindest in diesen Tagen. Wir sind ausgerechnet an dem Wochenende nach Sibiu gekommen, an dem dort das große Treffen der Siebenbürger Sachsen aus aller Welt stattfindet. Und die Stadt ist voll. Märkte mit Trachtenartikeln. Blasmusik, auch aus Bayern. Auf einer großen Bühne auf dem Hauptplatz übt Peter Maffay - ein geborener Siebenbürger - mit seiner Band für sein später geplantes Konzert: "Gelobtes Land".
Kein Wunder, dass die Dame in der Touristinfo etwas genervt reagiert, wenn man nach der aktuellen Ausgabe der deutschsprachigen "Hermannstädter Zeitung" fragt. Längest ausverkauft. Und auch das Schild vor der Kneipe "Treffpunkt für alle Sachsen - Schnaps und Bier genug für alle!" klingt eher nach Geschäftssinn, als nach ausufernder Gastfreundschaft. Etwas schade. Denn Sibiu ist wirklich eine nette Stadt. Viele kleine Gässchen und verwinkelte Plätze erzeugen fast italienisches Dolce-Vita-Flair. Der Espresso an der malerischen Fingerlingstiege schmeckt genauso gut wie in Venedig, kostet aber nur die Hälfte. Vermutlich sollte man nochmal herkommen, wenn nicht gerade das große Treffen der Siebenbürger Sachsen ist.
Kleine Ergänzung: Die Süddeutsche Zeitung hat im Nachgang in einer großen Reportage über Peter Maffay und sein Konzert in Sibiu berichtet.
Keine Vampire. Bisher haben wir außer einem Bündel Knoblauchzehen über einem Türeingang keinerlei Hinweise gefunden, dass Transsilvanien tatsächlich das Mutterland der Blutsauger ist. Stattdessen viel Traditionsbewusstsein, Improvisationstalent und eine herzliche Gastfreundlichkeit. Wir sind inzwischen in Cluj-Napoca angekommen, der inoffiziellen Hauptstadt der Region Transsilvanien, die man in Deutschland auch als Siebenbürgen kennt (die offizielle Hauptstadt ist Sibiu, wo wir noch hinfahren). Cluj jedenfalls ist eine entspannte, moderne Universitätsstadt, mit entsprechend vielen netten Hinterhofkneipen und kleinen Plätzen rund um die Uni.
Hier kann man in jedem Bus sein Ticket kontaktlos per EC-Karte kaufen, während die Elektroinstallationen der meisten Gebäude so aussehen, als ob über der Tür eine Kabeltrommel explodiert ist. Neben dem Hauptplatz gibt es ein kleines Apotheken-Museum. Hier kann man nicht nur das alte Cluj nacherleben, das schon früh ein kulturelles Zentrum war. Man erfährt auch viel über die Geschichte der Medizin insgesamt - was einen beim Anblick eines per Pedal angetriebenen Zahnarztbohrers schon etwas frösteln lässt.
Wenn ein Friedhof ganz offiziell als "lustig" bezeichnet wird, ist man in Rumänien. Im Land der Vampire hat man offenbar ein sehr entspanntes Verhältnis zum Tod. Auf jeden Fall ist der Friedhof von Sapanta in der Region Maramures tatsächlich unterhaltsam. Hier erhalten die Toten nicht einfach nur einen schnöden Grabstein. Auf bunten Holztafeln wird vielmehr in kurzen Versen das Leben des Verstorbenen samt geschnitztem Bild in Ich-Form rekapituliert. Und zwar in aller Härte. Da steht dann je nachdem auch mal "Ich habe hart getrunken". Begleitet von einem Bild mit dem Verstorbenen am Tresen. Prost und Amen! Die orthodoxe Kirche daneben ist ebenso farbenfroh dekoriert. Mit einem über die ganze Kirche verteilten Heiligenkalender - für jeden Tag des Jahres ein buntes Heiligenporträt. Dagegen wirkt die katholische Holzkirche auf der anderen Straßenseite mal ausnahmsweise richtig blass.
Unser erster Stopp in Rumänien ist jedenfalls bunt, herzlich und entspannt. Die Straßen haben zwar deutlich mehr Schlaglöcher als in Ungarn; die Preise sind niedriger; das Angebot in den Läden ist eingeschränkter, zumindest hier im strukturschwachen Norden. Für 150 Kilometer setzt Google Maps dann auch schonmal drei Stunden Fahrzeit an. Auf Bundesstraßen, wohlgemerkt. Aber irgendwie hat man das Gefühl, dass das Leben hier zwischen malerischen Landschaften und geschnitzten Eingangspforten entspannt und in jedem Fall entschleunigt ist.
Stolz reckt Dobó István sein Schwert in den Himmel. Immerhin hat er 1552 die Burg Eger in einer fünfwöchigen Belagerung mit nur 2000 Ungarn gegen 70.000 anstürmende Osmanen verteidigt. Was für ein Glück für Eger. Also damals. Und auch nur kurzzeitig. Denn nur gut 40 Jahre später haben die Türken es erneut versucht - und geschafft. Die nächsten 91 Jahre wurde Eger von den Osmanen beherrscht. Wovon man allerdings außer einem alten Minarett heute kaum noch etwas sieht. Der kurzzeitige Sieg des ungarischen Nationalhelden Dobó István gegen den Ansturm der Muslime ist dagegen quasi omnipräsent in Eger.
Eger ist eine charmante Kleinstadt mitten in leicht geschwungenen Weinbergen, vielen kleinen Weinkellern, Weinlokalen, mit einer sehr leckeren Art Baumkuchen, einer wundervollen erzbischöflichen Bibliothek und dominiert von der Burg Eger und ihrer Story von Dobó István. Eine Story, die wie gemacht ist für den ungarischen Nationalstolz. Und deshalb taucht sie quasi überall auf: Es gibt einen berühmten Roman, mehrere Verfilmungen und ein Musical, das jährlich in der Burg Eger aufgeführt wird. Darin besiegt Dobó István nicht nur die Türken. Es gibt auch noch eine kitschige Lovestory.
Es ist heiß am Balaton. Der Plattensee ist immer noch die Urlaubsdestination Nummer 1 in Ungarn. Deshalb ist es bei 35 Grad nicht verwunderlich, dass sich Ende Juli tausende, vorwiegend ungarische Besucher im größten Binnensee Europas vergnügen. Und wir mittendrin. Und es wird gespritzt, geschrien, gespielt und auch eine ganze Menge gegrillt und Wein getrunken, dass es eine wahre Freude ist. Ungarn sind die dezentesten Urlauber nicht. Ein Bier kostet weniger als eine Cola. Was vielen Urlaubsorten hier einen leichten Ballermann-Touch gibt. Quasi Balamann am Balaton (sorry für den Kalauer!).
Pressburg. Auch, wenn der Name der slowakischen Hauptstadt Bratislava (Deutsch: Pressburg) wohl auf einen früheren Fürsten zurückgeht, scheint er recht gut zu beschreiben, wie uns die Stadt vorkommt: Irgendwie eingepresst. Man ahnt, dass Bratislava noch auf der Suche ist nach einer eigenen Identität, eingequetscht zwischen den großen Nachbarn Wien, Prag und Budapest und einer oft nicht selbstbestimmten Geschichte. Dass Bratislava im 10. Jahrhundert auch mal zu Bayern gehörte und kurz darauf als Hochzeitsgeschenk von Gisela von Bayern an die Ungarn ging, ist da nur eine kleine, lokalpatriotische Randnotiz.
Insgesamt fängt einen Bratislava jedenfalls nicht gleich auf den ersten Blick. Die Silhouette ist zu großen Teilen ein sozialistischer Plattenbauexzess. Das Wahrzeichen der Stadt, die Burg Bratislava, ist nach einem verheerenden Brand im 19. Jahrhundert eine eher seelenlose Rekonstruktion aus dem Jahr 1953. Und die wenigen historischen Gebäude in der Innenstadt werden von chinesischen Touristen geflutet. Der Čumil, die ziemlich kuriosen Bronzestatue eines Arbeiters, der verschmitzt aus einem fiktiven Kanal spitzt, ist jedenfalls kaum ohne eine fremde Touristenhand darauf zu fotografieren.
Aber man merkt der Stadt auch an, was für eine innovative Kraft in ihr steckt. Die junge Landeshauptstadt versprüht einen ganz eigenen Reiz. Witzige Kunstprojekte in der Alten Markthalle; alternative Cafés; Weinlokale in allen Ecken. Und dabei haben wir auch was neues entdeckt: Den Alibernet. Eine Rotweinsorte, die erst 1950 durch Kreuzung eines Alicante Bouschet und eines Cabernet Sauvignon in einer Forschungsstation für Weinbau in Odessa entstanden ist. Gar nicht schlecht. Ein Flascherl steht jetzt jedenfalls in unserem Wohnmobil. Zdola nahor!
Auch eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Unser erster Schritt war 249 Kilometer lang. Gar nicht so schlecht, oder? Aber natürlich ein Katzensprung im Vergleich zu unserem gesamten Trip. Immerhin, ein Start. Erste Etappe: Linz, Österreich. Quasi lockeres Warmlaufen. Und erstes Durchatmen. Alles gut! Das Fahren fällt leicht; der Wagen funktioniert; vor Ort klappt alles. Und das sogar sehr gut. Linz ist eine nette Stadt für so ein Warmup. Und was sehen wir als erstes? Einen alten U-Bahnwagen aus München.
Der Wagen von 1983 steht am Eingang zum sogenannten Mural Harbor. Eine Galerie der etwas anderen Art. Im Linzer Donauhafen durften sich dort Graffity-Künstler ausleben. Dabei sind riesige, faszinierende Murals entstanden, also große Wandbilder, die jetzt aus dem ansonsten eher drögen Industriehafen einen erstaunlichen Ort machen. Der Münchner U-Bahnwagen ist dabei eine Reminiszenz an die Anfänge der Graffity Art in Europa, wo die bayerische Landeshauptstadt wohl erstaunlicherweise eine führende Rolle einnahm. Da schau her!
Und noch ein kulturelles Zuckerl hat Linz zu bieten: Das Ars Electronica Center. Eine Art Crossover zwischen Deutschem Museum und Pinakothek der Moderne. Hier wird aus Künstlicher Intelligenz Musik. Eiweißproteine fermentieren zu modischem Stoff. Und mittels 3D-Brille kommt einem unser Sonnensystem auf einer 8K-Leinwand
zum Greifen nah. Ein guter, erster Schritt also. Ab dem zweiten nennt man es Laufen. Mal sehen...
"Es ist besser etwas einmal zu sehen, als zehnmal darüber zu hören", lautet ein georgisches Sprichwort. Deshalb haben wir uns vorgenommen, Georgien selbst anzusehen. Mit dem Wohnmobil. Dummerweise liegt das ganz schön weit weg, dieses Georgien. Wir werden also Zeit brauchen. Drei Monate etwa, habe ich überschlagen. Wenn nichts dazwischenkommt. Und dazwischen, das sind hin und zurück rund 10.000 Kilometer und ein Dutzend weitere Länder: Österreich, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Griechenland, Albanien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Italien. Klingt nach einem Plan, oder? Also so ungefähr. Tatsächlich wissen wir nicht, was genau da auf uns zukommt. Lässt sich leider nicht so gut planen wie zwei Wochen Adria. Aber natürlich ist es auch das, was uns an der Sache reizt. Jetzt bereiten wir also vor, was man nur begrenzt vorbereiten kann.
Wir haben etwas Erfahrung mit Wohnmobilreisen. Einmal quer durch Frankreich, einmal die US-Ostküste und einmal die -Westküste entlang. Allerdings immer mit gemieteten Mobilen. Drei Monate mit einem Mietwagen durch ein Dutzend Länder mit unterschiedlichen Zoll-, KfZ- und Versicherungsbestimmungen? Das war mir dann doch etwas zu heikel. Also haben wir uns ein Wohnmobil gekauft.